VOLL AGIL?
DANN LIEBER HYBRID!
Ein agiles Unternehmen arbeitet nicht automatisch effizienter. Das Potenzial dazu hat es jedoch allemal. Über die letzten Jahre haben wir agile Transformationen bei Kunden begleitet und zusätzlich Kunden bei der Beseitigung des Scherbenhaufens fehlgeschlagener Transformationen unterstützt. Folgendes haben wir gelernt …
Agilität ist das Buzzword der Stunde. Kaum ein Unternehmen hat sich noch nicht mit der Fragestellung beschäftigt, ob ein Wechsel hin zu einer agilen oder zumindest agileren Organisationsform und Arbeitsweise sinnvoll wäre. Wir haben mit Unternehmen zusammengearbeitet, die vollständig agil arbeiten und weitere bei der agilen Transformation begleitet. Dabei haben wir fünf Faktoren identifiziert, die wesentlich über Erfolg oder Misserfolg entscheiden.
First Things First: Was meinen wir, wenn wir über agile Organisationsformen sprechen? Im einfachsten Fall besteht eine agile Organisation aus Tribes, Chaptern und Squads. In Squads arbeiten Mitarbeiter aus mehreren Chaptern (bündeln Mitarbeiter einer Funktion) in einer inhaltlich ausgerichteten Einheit zusammen. Ein Tribe fasst mehrere Squads in einer fachlichen Dimension zusammen.
I. Mit dem Warum starten
„Wir haben uns an den bisherigen Bereichen und Abteilungen orientiert …“ ist häufig der Sargnagel des Misserfolgs einer agilen Transformation. Die Neustrukturierung einer Organisation ohne inhaltliches Zielbild ist mit der Digitalisierung eines Prozesses gleichzusetzen, der bereits analog mehr Arbeit als Nutzen bringt. Gerade für agile Organisationsformen und den Zuschnitt der Tribes ist ein inhaltliches Zielbild entscheidend und bildet die Grundlage von echter end-to-end Verantwortung – beispielsweise in klar abgrenzbaren Kundengruppen.
II. Nicht alles agil machen
Ein Unternehmen vollständig in eine agile Organisation zu überführen hat sich aus unserer Erfahrung als wenig zielführend erwiesen. Zugegebenermaßen gibt es Unternehmen, die aufgrund ihres Produkts/Services, ihrer Altersstruktur und gewachsenen Kultur wunderbar agil arbeiten. Jedoch haben wir noch kein Unternehmen begleitet, das sich erfolgreich aus einer klassisch gewachsenen Struktur in eine vollständig agile Struktur transformiert hat. Viel mehr haben wir die Erfahrung gemacht, dass sich aus einem klar definierten Zielbild stets unterschiedliche Organisations-bedürfnisse für Bereiche eines Unternehmens ergeben.
So eignen sich insbesondere Aufgaben rund um Produktentwicklung, Leistungs-erbringung, IT-Umsetzung und zugehörige Marketingaktivitäten häufig für agile Organisationsformen. Diesen agilen Kern unterstützen übergreifende Strategieeinheiten und Supportfunktionen, wie HR, Payroll oder Recht. Diese Einheiten sind in sich end-to-end fähig und haben nur punktuellen Einfluss auf das Tagesgeschäft. Eine vollständige Integration in den agilen Kern ist daher nicht zu empfehlen.
Zusätzlich stellen Vertrieb und 1st Level Support weiterhin die Verbindung zum Kunden her. Gerade bei Dienstleistern bringt die Beibehaltung des one-face-to-the-customer mehr Vorteile mit sich als eine Aufteilung entlang der inhaltlich separierten Squads. In diesen Bereichen ist eine klassische Aufstellung oftmals der sinnvollere Weg, um neue Silo-Denke zu vermeiden und einheitlich in der Kundeninteraktion zu agieren.
III. Mut zur Zwischenebene haben
Eine gesamte Organisation in Squads aufzuteilen führt bei einer angestrebten Größe von acht bis zwölf Mitarbeitern zunächst zu einer erheblichen Anzahl neuer Teams. Tribes gruppieren diese zwar in eine übergeordnete Struktur, allerdings entsteht so häufig eine enorm breite Führungsspanne der Tribe-Leads.
Die Lösung: Mit dem ausgewählten Einsatz einer Zwischenebene den Führungsaufwand reduzieren und gleichzeitig mehr Einfluss auf das operative Tagesgeschäft ermöglichen. In einem unserer Projekte sind dadurch Tribes, die sich nach Kundengruppen unterscheiden, in sinnvolle Kundensegmente geteilt worden.
Es gilt eine gute Balance zu schaffen, um nicht wieder in altbekannte Hierarchie-Muster zu verfallen. Im operativen Doing hat sich der enorme Mehrwert bereits gezeigt und deshalb ermutigen wir dazu, an geeigneten Stellen die Zwischenebene zu nutzen.
IV. Ressourcen steuern
Ob es gelingt, die Flexibilität der agilen Arbeitsweise im Tagesgeschäft zur vollen Entfaltung zu bringen, hängt stark von den Rahmenbedingungen des Ressourcenmanagements ab. Kurzfristige Verschiebungen von Mitarbeitern auf Basis ihrer Auslastung und angeforderter Kapazitäten funktioniert nur mit vollständiger Transparenz an einer zentral koordinierenden Stelle.
Ohne eine Systemunterstützung mit schlanker Bedienung bei gleichzeitig möglichst umfangreicher Einsicht in Auslastungen ist dies kaum darstellbar. Zudem bedarf es eines klar definierten und gelebten Prozesses zur Ressourcensteuerung inklusive einheitlicher Priorisierungskriterien. Die Einbindung der Arbeitsebene in die Ausgestaltung dieser Prozesse ist ein weiterer wesentlicher Erfolgsfaktor. Kapazitäten im Unternehmen werden so optimal genutzt, Urlaubs- und Krankheitsfälle aufgefangen und externer Ressourcenaufwand reduziert.
V. Aktiv um Change steuern
Die Wichtigkeit eines aktiven Change-Managements gilt für organisatorische Veränderungen in besonderer Weise. Erfreulicherweise steigt die wahrgenommene Bedeutung dieses Themas an, wodurch in Projekten relevante Ressourcen auf Change Themen allokiert werden.
Abhängig von der Ausgangslage des jeweiligen Unternehmens können sich im Zuge einer agilen Transformation Teams, Rollen, Arbeitsweisen, Berichtswege und tägliche Routinen ändern. Vielfach bleiben Teile der Strukturen und Teams jedoch erhalten, arbeiten aber künftig anders zusammen. Spätestens hier müssten die Alarmglocken läuten.
Zudem stellt die Einführung von agilen Arbeitsmethoden wie Kanbans, Check-ins und Retrospektiven einige Mitarbeiter vor Herausforderungen.
Auch hier gilt: Klar definierte Ziele und Begrifflichkeiten, ergebnisoffene Kommunikation und die Bewertungen von Veränderungen sind zwingend notwendig, um das Überstülpen von agilen Arbeitsweisen als Selbstzweck zu vermeiden.
Besonders in der Umbruchphase aber auch im nachfolgenden operativen Geschäft helfen Agile Coaches den gemeinsamen agilen Weg zu gehen. Hier hat sich gezeigt, dass diese Rollen soweit möglich intern besetzt werden sollten, um flexibel und direkt auf Herausforderungen zu reagieren und Kompetenzen im Haus zu halten.
Zu guter Letzt ist eine tiefe Integration des gesamten Managements in den Change-Prozess unabdingbar. Der Zeiteinsatz der Top-Führungskräfte zahlt sich in einer einheitlichen Kommunikation, schnellen Entscheidungen und damit geringerer Unruhe im Unternehmen aus. Diese Verantwortung muss zu Beginn einer agilen Transformation allen Beteiligten deutlich sein.